18.07.2023 – Kategorie: Health – IT

Fristverlängerung bringt keine Entspannung

Quelle: DSAG

SAP hat die Patientenmanagement-Lösung IS-H abgekündigt und Kliniken und Krankenhäuser vor große Herausforderungen gestellt. Auch die Fristverlängerung für Digitalprojekte des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) bringt hier keine Entspannung. Ein Grund: Fachkräfte- und Dienstleistermangel.

SAP wird die Branchenlösung SAP Patientenmanagement (IS-H) samt Wartung nach 2027 plus maximal drei Jahre für eine kostenpflichtige und -intensive Extended Maintenance nicht mehr fortführen. Die bisherigen Funktionalitäten von IS-H (Patientenverwaltung und -abrechnung) sollen über die Krankenhausinformationssysteme (KIS) entsprechender Software-Hersteller abgebildet werden. Dementsprechend müssen sich Kliniken und Krankenhäuser nach Alternativen für IS-H und gegebenenfalls nach anderen Krankenhausinformationssystemen (KIS) als Ablösung für das z. B. eingesetzte i.s.h.med von Oracle Cerner umsehen.

Fatale Situation für zahlreiche Kliniken und Krankenhäuser

Dass viele Kliniken und Krankenhäuser sich mit dieser Situation konfrontiert sehen, bestätigt eine Umfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e.V. (DSAG), in welcher der Status quo im DACH-Raum ermittelt wurde. Ein Ergebnis: Zweidrittel der Befragten nutzen IS-H zur Patientenadministration und -abrechnung und bei 80 Prozent ist die Lösung das patientenführende System. In vielen Kliniken und Krankenhäusern wird IS-H auch für weitere Zwecke verwendet, wie z. B. für die Abrechnung außerhalb von Krankenhäusern, zur Dokumentation oder Anbindung an die Telematikinfrastruktur und für Datenmeldungen. Diese Häuser trifft die SAP-Strategie somit noch härter.

Laut SAP sollen die bis dato in IS-H abgebildeten Funktionalitäten für Patientenadministration und -abrechnung künftig wie erwähnt durch moderne KIS verschiedener Hersteller abgedeckt werden. Eine aus DSAG-Sicht fatale Situation, denn: Zum einen ist unklar, wie schnell die KIS-Hersteller ihre Produkte um die weggefallenen Funktionen der bisherigen Branchenlösung Healthcare erweitern können. Nicht alle Anbieter werden in der Lage sein, verschiedene KIS-Varianten zeitgemäß umzusetzen. Zum anderen stellt sich für die Kunden die Frage nach den monetären Ressourcen, die je nach Szenario eingesetzt werden müssen. Fakt ist: Die finanziellen Mittel vieler Kliniken und Krankenhäuser sind erschöpft – auch aufgrund der mittlerweile hohen Energie- und Inflationskosten. Millioneninvestitionen in neue KIS sind hier kaum zu stemmen.

KIS wesentlich für KHZG-Digitalisierung

Diese Situation ist auch im Hinblick auf die Umsetzung der Anforderungen aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) herausfordernd. Denn: Das KIS ist wesentlich für die Digitalisierung durch das KHZG. Das zeigt der Blick in die Funktionstatbestände Patientenportale für ein digitales Aufnahme- und Entlassmanagement (FTB2), Systeme zur digitalen Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen (FTB3), digitale Entscheidungsunterstützungssysteme (FTB 4), Systeme für ein digitales Medikationsmanagement (FTB 5) und Systeme zur digitalen Anforderung von Leistungen (FTB 6). Das betrifft im Wesentlichen das KIS des Hauses – weniger das Patientenadministrations- und Abrechnungssystem. Letztgenanntes wird aber sicher durch die Einrichtung eines Patientenportals auch zu reformieren sein. Schließlich finden hier aktuell z. B. die Patientenidentifizierung auch auf Basis der elektronischen Gesundheitskarte und der Versichertenstammdatenabgleich statt.

Aus Sicht der DSAG sind für alle anderen KHZG-Funktionstatbestände umfangreiche funktionale Erweiterungen der KIS erforderlich. Hier spielen unter anderem die Interoperabilität, der Einsatz der Fast-Healthcare-Interoperability-Resources (FHIR)-Schnittstelle durch alle Anbieter für Diagnostik und Therapie eine große Rolle, um den elektronischen Datenaustausch zwischen den Kliniken und niedergelassenen Praxen unter Berücksichtigung aller datenschutzrechtlichen Aspekte sowie unter höchsten Sicherheitsanforderungen zu ermöglichen.

Keine Entspannung durch Fristverlängerung

Diese Situation im Hinterkopf, ist die kürzlich angekündigte Fristverlängerung beim Krankenhauszukunftsgesetz für Krankenhäuser und Kliniken zwar begrüßenswert, doch längst kein Grund, aufzuatmen. Die Frist für Digitalprojekte im Rahmen des KHZG, deren Umsetzung bislang auf Ende 2024 terminiert war, entfällt. Kliniken können ihre Patientenportale, ihre Pflege und Behandlungsdokumentationen oder ihr Medikamenten-Management nun auch nach 2024 abschließen. Das sorgt jedoch in den Krankenhäusern und Kliniken nicht direkt für Entspannung. Schließlich bleibt der Druck, sich wie beschrieben nach Alternativen für das abgekündigte IS-H und gegebenenfalls auch nach anderen KIS umsehen zu müssen.

Zeitlicher Rahmen zu eng gesteckt

Ein wesentlicher Faktor, der hier eine Rolle spielt, ist der zeitliche Rahmen. Einerseits, da bis dato noch kein Anbieter am Markt gefunden werden konnte, der die Bedarfe der Kliniken und Krankenhäuser tatsächlich vollumfänglich abdeckt. Andererseits ist zu erwarten, dass der bereits vorhandene Engpass am Beratermarkt, wenn IS-H und gegebenenfalls auch i.s.h.med abgelöst werden müssen, noch wächst. Aus DSAG-Sicht ist es daher möglich, dass die KHZG-Fristverlängerung sogar für Mehrkosten sorgen könnte, weil z. B. IS-H und auch i.s.h.med-Kunden in die kostenintensive Extended Maintenance von SAP rutschen oder sogar Übergangslösungen schaffen müssen. Dementsprechend fordert die DSAG für ihre Mitgliedsunternehmen vor allem zunächst mehr Zeit.

DSAG fordert Extended Maintenance ohne Aufpreis

Konkret hat SAP hat für die Software SAP ERP Central Component (SAP ECC) eine Mainstream-Wartungszusage bis zum 31.12.2027 gegeben, an die sich eine kostenpflichtige, optionale Extended-Wartung bis Ende 2030 anschließt. IS-H wird komplett auf der abgekündigten SAP-ERP-ECC-Infrastruktur betrieben. Wenn die Krankenhäuser und Kliniken alle administrativen SAP-Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Module durch S/4HANA und Cloud-Lösungen ersetzt haben, IS-H jedoch noch nicht ablösen konnten, fällt die Extended Maintenance auf den gesamten SAP-ERP-Beschaffungswert an – somit also auch auf die administrativen Module. Da es jedoch aus DSAG-Sicht unrealistisch ist, dass alle Häuser zwischen 2024 und 2030 auf Partnerlösungen migrieren können, die aktuell noch nicht entwickelt sind, drohen den Häusern hier erhebliche Kosten. Entsprechend wäre ein erster wichtiger Schritt, dass SAP eine Extended Maintenance ohne Aufpreis anbietet.

Tatjana Neitz-Kluge, DSAG

Tatjana Neitz-Kluge ist stellvertretende Arbeitskreissprecherin Healthcare der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. und hauptberuflich tätig bei der Universitätsmedizin Göttingen


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